Über den Pädagogen und Namenspatron
Johann Heinrich Pestalozzi

Der wohl berühmteste Schweizer und Pädagoge ist der Namenspatron der Pestalozzischule.

Am 28. September 1973 war es soweit: Die bisherige städtische katholische Grundschule in Grimlinghausen bekam einen richtigen Namen. Zum Namenspatron wählten die damaligen Stadtväter keinen geringeren als den wohl berühmtesten Schweizer und weltbekannten Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Wer war dieser Pestalozzi eigentlich und was machte seinen pädagogischen Ansatz so populär, dass er bis in unsere heutige Zeit noch verehrt wird?

Johann Heinrich wurde vor fast 260 Jahren am 12. Januar in der Wohnung seiner Eltern am oberen Hirschgraben in Zürich geboren.

Die ersten Lebensjahre Pestalozzis waren von großen familiären Turbulenzen geprägt: Sieben Kinder wurden in etwas mehr als acht Ehejahren der Eltern geboren, wovon vier auch in diesen Jahren starben, und Pestalozzi war erst fünf Jahre alt, als der Vater Johann Baptist Pestalozzi (1718-1751) starb. Die Mutter blieb mit den Kindern, wohl wegen der besseren Bildungschancen und des besseren Schulangebots, in Zürich wohnen. Die ärmlichen Verhältnisse führten aber zusammen mit den traumatischen familiären Erfahrungen zu einer ängstlichen Fürsorge durch die Mutter. So durchlebte Pestalozzi als Kind die öde Langeweile und Erfahrungseinschränkung einer zu weit getriebenen Behütung. 1804 beschreibt er seine Jugendjahre in der Rückschau:

„Meine Jugendjahre versagten mir alles, wodurch der Mensch die ersten Grundlagen einer bürgerlichen Brauchbarkeit legt. Ich war gehütet wie ein Schaf, das nicht außer den Stall darf. Ich kam nie zu den Knaben meines Alters auf die Gasse, kannte keines ihrer Spiele, keine ihrer Übungen, keines ihrer Geheimnisse. Natürlich war ich in ihrer Mitte ungeschickt und ihnen selbst lächerlich.“

Und an anderer Stelle führt er um dieselbe Zeit aus:

„Das Alltägliche und Gemeine, wodurch die meisten Kinder im Hause und außer demselben im Angreifen und Behandeln von tausenderlei Dingen zu den gewohnten Fertigkeiten des Lebens, beinahe ohne daß sie es wissen und wollen, zum voraus vorbereitet und tüchtig gemacht werden können, mangelte mir ganz. Da in meiner Kinderstube eigentlich so viel als nichts dafür vorhanden war, mich vernünftig und lehrreich zu beschäftigen, und ich mit meiner Lebhaftigkeit gewöhnlich das verdarb und zugrunde richtete, was ich ohne diesen Zweck in meine Hand kriegte, so glaubte man, das beste, was man diesfalls an mir tun könne, sei, zu machen, daß ich so wenig wie möglich in die Hände nehme, damit ich so wenig als möglich verderbe. ‚Kannst du denn auch gar nicht still sitzen. Kannst du denn auch gar nicht die Hände still halten?‘ Das war das Wort, das ich bald alle Augenblicke hören mußte. Es war meiner Natur zuwider, ich konnte nicht stille sitzen, ich konnte die Hände nicht stille halten, und wahrlich, je mehr ich es sollte, desto weniger konnte ich es. Wenn ich nichts mehr fand, so nahm ich eine Schnur und drehte so lange an ihr, bis sie keiner Schnur mehr gleich sah. Jedes Blatt, jede Blume, die in meine Hand kam, hatte das gleiche Schicksal. Denke dir den Fall, wo man ein in vollem Trieb sich befindendes Räderwerk in seinem Laufe gewaltsam verwirrt und hemmt und das Streben dieser Räder gegen die Hemmung ihrer Kraft, so hast du das Bild des Einflusses meiner Lage auf die Richtung meiner nach Entwicklung und Tätigkeit strebenden Kräfte. Je mehr diese gehemmt wurden, je verwirrter und gewaltsamer erschienen sie, wo sie sich immer zeigen wollten und zeigen konnten.“

Pestalozzi besuchte in seiner Heimatstadt Zürich alle Schulen, die damals einem intelligenten jungen Bürger der Stadt zum unentgeltlichen Besuch offen standen, und sein Bildungsgang führte ihn über die Schola Carolina im Großmünster zum Studium am Collegium Carolinum, einer Schule mit Hochschulcharakter, dessen Lehrer den Geist der schweizerischen bzw. zürcherischen Aufklärung prägten.

Den Studenten Pestalozzi beeindruckte am meisten Jean-Jacques Rousseau. 1762 waren der „Gesellschaftsvertrag“ und der „Émile“ erschienen, beide Werke beschrieben das Ideal eines natürlichen, tugendhaften und freien Lebens. Das Leben der Stadtmenschen erschien als verzerrt, verdorben und verkünstelt; der Bauer hingegen lebte – zumindest in der Phantasie der Rousseau-Anhänger- einfach, kraftvoll und in engster Verbindung mit der Natur. Bei Pestalozzi griff dieser Gedanke tiefer und verband sich mit seinem Drang, den Armen und Rechtlosen auf dem Lande helfen zu wollen. In Höngg, der Pfarrei seines Großvaters, wo er als Kind oft zu Besuch war, hatte er die bedrückende Situation der ungebildeten und rechtlosen Landbevölkerung aus der Perspektive eines privilegierten Stadtkindes hautnah erfahren. So brach er seine Studien schon als Einundzwanzigjähriger vorzeitig ab und entschloss sich, selbst Bauer zu werden. Allerdings fehlten Pestalozzi für diesen Weg alle Voraussetzungen, vor allem die Kenntnisse der Landwirtschaft und des Landbaus. So begann er im Sommer 1767 in Kirchberg eine landwirtschaftliche Lehre, um den modernen Obst- und Feldbau zu erlernen. Nach seiner Rückkehr aus Kirchberg kaufte sich Pestalozzi 25 Kilometer von Zürich entfernt – im kleinen Dorf Birr, wo er heute begraben liegt – von über 50 Bauern als wenig ertragreich geltendes Wies- und Ackerland, insgesamt gegen 20 Hektar, und errichtete ausserhalb des Dorfs neue Gebäude. Dieser „Neuhof“ sollte fortan sein Heim werden, auch wenn er später auswärts zu wirken hatte. Er bewohnte und bewirtschaftete ihn bis 1798 und zog sich 1825 wieder auf ihn zurück, als er seine Erziehungsanstalt in Yverdon schliessen musste. Heute ist der Neuhof eine Erziehungs- und Berufsbildungsanstalt für gefährdete Jugendliche.

Schon von Anfang an türmten sich zahlreiche Schwierigkeiten auf, die Pestalozzis Unternehmung schliesslich scheitern ließen: Dem jungen Mann fehlte bei der Gründung seines Unternehmens jede väterliche Hilfe: Sein eigener Vater war längst tot, und die Familie seiner Frau Anna, die über Weltgewandtheit und Erfahrung in geschäftlichen Dingen verfügt hätte, liess ihn im Stich. So wurde das Leben auf dem Neuhof keineswegs entzückend, denn seine Nachbarn waren erfüllt von Argwohn und Misstrauen und legten Pestalozzi so viel Steine in den Weg, wie möglich. Auch brachten die Bauern ihn beim Geldgeber in Verruf, weshalb dieser am 12. August 1770 die Unternehmung als gescheitert erklärte und sein Kapital kurzerhand zurückzog, ehe Pestalozzi zum erstenmal ernten konnte.

Der Schuldenberg wuchs und wuchs, und 1774 stand der junge Bauer vor dem finanziellen Ruin. Er verkaufte sein Vieh, verpachtete den Grossteil seines Landes an andere Bauern und steckte trotzdem noch bis zum Halse in Schulden.

Einen Tag nach der Kündigung des Kapitals durch das Bankhaus Schulthess gebar Anna Pestalozzi einen Jungen, den die Eltern Rousseau zu Ehren auf Jean Jacques tauften. Über Pestalozzis Versuch, seinen „Jacqueli“ genau nach jenen Grundsätzen zu erziehen, die Rousseau in seinem „Emile“ ausformuliert hatte, gibt ein noch erhaltenes Auskunft, das sich auf die Zeit zwischen dem 27. Januar und dem 19. Februar 1774 bezieht. Wir begegnen hier erstmals dem jungen Pestalozzi als einem Menschen, der an Erziehungsfragen sehr grundsätzlich interessiert, aber ebenso willens ist, theoretische Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen und ihre Stimmigkeit an der Praxis zu messen. So bilden seine Erziehungsversuche zugleich eine theoretische Auseinandersetzung mit seinem geistigen Ahnherrn Rousseau.

Nach dem Scheitern der landwirtschaftlichen Unternehmung verlegte sich Pestalozzi kurz auf den Handel mit Baumwolle. Aber er war nicht dazu geschaffen, aus der Arbeit armer Menschen genügend Gewinn zu ziehen, und seine Geldgeber mussten erneut finanzielle Verluste hinnehmen.
So wenig erfolgreich Pestalozzis Baumwollunternehmung war, so gab sie doch den Impuls für die Umwandlung des Neuhofs in eine Armenanstalt.

Pestalozzi sah Hunderte von Kindern im Elend, der Verwahrlosung oder dem Bettel preisgegeben, und er erkannte, daß ihnen nur geholfen werden konnte, wenn sie arbeiten lernten, wenn sie gebildet wurden und wenn sie in der damaligen gesellschaftlichen Situation das Spinnen oder das Weben und den intensiven Feldbau erlernten. So nahm er etwa ab 1773 arme Kinder in sein Haus auf, ernährte sie, kleidete sie, hielt sie zum Arbeiten an, lehrte und erzog sie. Und so verwandelte sich sein Bauernhof im Jahre 1774 allmählich in eine Armenanstalt. Er wollte in der Verbindung von Landwirtschaft mit der aufkommenden Industriearbeit einen praktischen Lebensraum schaffen, um darin mittellose Kinder auf ein Leben vorzubereiten, in dem sie ihre Armut aus eigener Kraft bemeistern könnten. 1776 lebten in seinem Hause 22 Kinder, zwei Jahre später waren es sogar 37. Er errichtete zwei weitere Gebäude – eine Fabrikstube und ein Kinderhaus – und stellte gelernte Webermeister und Spinnerinnen und Mägde für den Feldbau an, welche die Kinder bei der Arbeit zu betreuen hatten. Während der Arbeit am Spinnrad oder am Webstuhl führte er sie ins Lesen und Rechnen ein. Und das ganze Leben auf dem Neuhof war durchdrungen von Pestalozzis Willen, die Herzen der Kinder zu erwärmen für ein Leben in Wahrheit und Liebe.

Es ist bezeichnend für Pestalozzi, daß er bei seiner Tätigkeit als Armenerzieher nicht im Pragmatischen stecken blieb, sondern das Problem der Armut und der Armenerziehung auf dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Situation theoretisch durchdachte. Seine diesbezüglichen Gedanken erfahren wir aus den sog. „frühen Armenschriften“.

Bekanntlich war auch Pestalozzis Armenanstalt ein finanzielles Fiasko. Das Geld borgte er sich zuerst von Freunden, Bekannten und Verwandten. Als es nicht reichte, richtete er 1775 eine Bitte an die Öffentlichkeit, seine Armen-Erziehungsanstalt durch Darlehen zu unterstützen. Er versprach den Geldgebern die Rückerstattung ihrer Kapitalien, denn er war überzeugt, daß die Kinder, wenn sie einmal arbeiten gelernt hätten, durch ihre Arbeit die Anstalt finanziell selbsttragend erhalten könnten. Aber Pestalozzi täuschte sich, denn sobald die Kinder eingekleidet und wohlgenährt waren und spinnen oder weben gelernt hatten, holten die Eltern sie wieder heraus und liessen sie zu Hause auf eigenen Gewinn arbeiten. Und die Gespinste und Gewebe aus Kinderhand entsprachen auch nicht den Qualitätsansprüchen der verwöhnten Käuferschaft, weshalb Pestalozzi seine Produkte weit unter dem Preis losschlagen musste. 1776 und 1777 waren wieder Hungerjahre, verursacht durch Missernten, weshalb die versprochenen Beiträge nicht in der erwarteten Höhe eintrafen.

In seinem Lebensrückblick im „Schwanengesang“ schrieb Pestalozzi:

„Unser Unglück war entschieden. Ich war jetzt arm“.

Doch die Führung einer Armenanstalt blieb die grosse Sehnsucht in Pestalozzis Leben. Im Jahre 1799 sollte ihm in Stans deren Erfüllung für wenige Monate beschieden sein.

Im Alter von 53 Jahren fasste Pestalozzi – den folgenschweren Entschluss, Lehrer zu werden, d.h. einen Beruf zu ergreifen, der schlecht bezahlt und im eigentlichen Sinne verachtet war. Der helvetische Erziehungsminister Stapfer hätte Pestalozzi lieber die Leitung einer neu zu errichtenden Lehrerbildungsanstalt übertragen, denn eine geordnete Lehrerbildung fehlte dem neuen Staat. Aber Pestalozzi wollte zuerst seine Erfahrungen mit kleinen Kindern machen, weshalb Stapfer seinen Sekretär Rudolf Fischer zum Seminardirektor ernannte und ihm das Schloss Burgdorf als Wirkungsstätte zuwies. Für Pestalozzi erwirkte Stapfer die Möglichkeit, in Burgdorf unterrichten zu können.

Aber die Stadtbehörden ließen ihn vorsichtshalber einstweilen nur an der sog. Hintersassenschule unterrichten, wo ihm in bestehenden Schulklassen ein Winkel für seine Versuche zugewiesen wurde.

Pestalozzi suchte mit äußerster Energie nach einer Methode, um die Schüler auf natürliche, psychologische Weise zu unterrichten. Er legte alle Schulbücher weg und ließ die Kinder ihre konkrete Umgebung mit all ihren Sinnen erfahren. Dem Lesen sollte das Denken vorausgehen, und alles Erkennen sollte auf Anschauung beruhen. Nach acht Monaten wurden dann seine Schüler einer Prüfung unterzogen, und die Erfolge waren so deutlich, dass man ihm eine der höheren Knabenklasse in der Stadt anvertraute.

1804 jedoch verlangte die Berner Regierung, dass Pestalozzi das Schloss Burgdorf mit seinem Institut räumte, damit der neue Berner Oberamtmann dort seine Residenz einrichten konnte. Der Pädagoge fand mit seinem Institut vorerst Unterschlupf in einem verfallenen Kloster in Münchenbuchsee. In der Nähe führte Philipp Emanuel von Fellenberg ein Mustergut und eine Erziehungsanstalt. Pestalozzis Mitarbeiter entwickelten die Idee einer Verbindung der beiden Anstalten: Fellenberg sollte organisieren und Pestalozzi das Ganze mit seinen Ideen durchsetzen. Aber die beiden überwarfen sich bald, denn Fellenberg duldete nicht, dass Pestalozzi Zöglinge aus armen Verhältnissen unentgeltlich in seine Anstalt aufnahm. So sah sich Pestalozzi nach einem Neuanfang um. Der neu errichtete Kanton Waadt (Vaud) ergriff die Chance, dem berühmten Pädagogen das Schloss in Yverdon (deutsch: Iferten) für sein Erziehungsinstitut auf Lebzeiten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

Gemeinsam mit drei Lehrern machte sich Pestalozzi in der 2. Jahreshälfte 1804 an den Aufbau seines neuen Instituts im Schloss Yverdon. Währenddessen verschlechterte sich in Münchenbuchsee die Stimmung unter den zurückgebliebenen Lehrern und Zöglingen, denn Fellenberg entschied sehr selbstherrlich und duldete keinerlei Widerspruch. Darum siedelten auch sie schon nach einem guten halben Jahr geschlossen nach Yverdon über.
Pestalozzis Institut in Yverdon wurde rasch berühmt und sein pädagogischer Impuls strahlte vor allem nach Deutschland und hier besonders nach Preußen, aber auch nach Frankreich, Spanien, Italien, England, Russland und Amerika aus. Die Leitung des Instituts lag in den Händen einer Kommission, der neben Pestalozzi noch vier weitere Mitarbeiter angehörten. Sie wählte für jedes Unterrichtsfach einen Oberaufseher und sorgte sich um die Finanzen.

So bedeutungsvoll und erfolgreich seine Erziehungs- und Schulanstalten in Burgdorf und Yverdon auch waren, so war es doch nicht das, was er eigentlich wollte. Als Pestalozzi schliesslich als fast Achtzigjähriger auf seinen Neuhof zurückkehrte, trug er sich allen Ernstes mit dem Gedanken, seine einstige Armenanstalt wieder neu zu beleben, und liess es sich nicht nehmen, beim Bau eines neuen Gebäudes selber Hand anzulegen.

Am 17. Februar 1827 starb Pestalozzi in Brugg und wurde am 19. Februar in Birr an der Seitenmauer des alten Schulhauses begraben.

Dort am neu gebauten Schulhaus errichtete ihm 1846 der Kanton Aargau das noch heute bestehende Grabdenkmal mit der Grabinschrift von Augustin Keller:

Retter der Armen im Neuhof,
Prediger des Volkes in Lienhard und Gertrud,
Zu Stans Vater der Waisen,
Zu Burgdorf und Münchenbuchsee
Gründer der neuen Volksschule,
Zu Iferten Erzieher der Menschheit,
Mensch, Christ, Bürger,
Alles für Andere, für sich Nichts.
Segen seinem Namen!

(Quelle: Arthur Brühlmeier und Gerhard Kuhlemann „Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827“)